Montag, 15. September 2014

Vom Glück zu Können

Hallo ihr Lieben,

heute liegt meine Hüftumstellung "schon" gute 11 Wochen hinter mir. Kaum zu glauben, wie schnell doch die Zeit vergangen ist. In den letzten Tagen und Wochen ist es ein bisschen still um mich geworden. Das liegt zum einen daran, dass einfach nicht viel neues passiert ist und zum anderen auch daran, dass ich mich so gut es ging auf eine Klausur vorbereitet habe. Die habe ich vergangenen Mittwoch geschrieben und es lief wirklich gut. Hätte ich eigentlich nicht gedacht. Ich konnte problemlos 90 Minuten Sitzen und so gut wie alle Aufgaben bearbeiten. Am Ende hat zwar die Zeit nicht mehr gereicht, aber das war mir im Endeffekt egal. Mein Ziel war es nur "versuchen" an der Klausur teilzunehmen (und im besten Fall natürlich auch bestehen). Ohne große Erwartungen. Und das Ziel hatte ich erreicht.

Das Lernen hatte ich mir übrigens irgendwie einfacher vorgestellt. Ich merke noch immer, dass ich große Probleme mit meinem Gedächtnis habe. Normalerweise hatte ich immer ein sehr gut ausgeprägtes Kurzzeitgedächtnis, aber jetzt nach der Operation komischerweise nicht mehr. Ich vergesse oft Sachen, sogar Namen von Bekannten oder Prominenten entfallen mir. Teilweise habe ich Probleme die richtigen Worte zu finden und kann mich nicht richtig ausdrücken. Das werde ich definitiv ansprechen bei meiner 12 WoKo in Dortmund nächste Woche. Mit dem Sitzen war das gar nicht so einfach während des lernens, wenn ich Dinge schreiben wollte. Da neige ich nämlich dazu mich vorzubeugen, was ich ja eigentlich nicht darf. Ich soll ja den 90'C-Winkel einhalten. Ab und zu komme ich ein bisschen drüber. Das merke ich aber selber gar nicht, da ich keine Schmerzen dabei empfinde. Meist weist mich jemand anderes darauf hin. Ich hoffe, dass das nicht weiter tragisch ist.

Leider habe ich auch vermehrt Haarausfall. Anfangs sind mir hier und da mal ein paar Haare ausgefallen, aber nicht besorgniserregend. Mittlerweile ist es mehr geworden. Teilweise verliere ich richtige Haarbüschel, dass sich Panik breit macht, bald kein Haar mehr so haben. Dabei habe ich sonst eigentlich schönes, volles Haar. Zwar nehme ich schon seit Wochen Biotin ein, das zeigt aber keine Wirkung. Im Internet konnte ich finden, dass Thrombosespritzen nach langer Einnahme Haarausfall verursachen. Das wird denke ich auch der Grund sein. Immerhin spritze ich schon seit mehr als 11 Wochen jeden Tag.. und es ist kein Ende in Sicht. Das wird erst aufhören, wenn ich wieder auf Volllast bin.

Seit ungefähr zwei Woche haben ich übrigens einen Rollstuhl. Der erweitert meinen Bewegungsradius enorm. So war ich zum Beispiel einmal mit meinem Freund in Düsseldorf in der Stadt für eine kleine Shoppingtour. Lange Strecken hätte ich zu Fuß mit Gehstützen nicht bewältigen können. Auch mehrere Restaurantbesuche habe ich schon hinter mir. Die habe ich meist aber nur mit Gehstützen gemacht. War alles kein Problem. Am ersten Septemberwochenende war bei uns in Moers Kirmes. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen und bin mit dem Rolli über die Kirmes gedüst mit Freund und einer Freundin im Schlepptau. Naja, ich habe mich Schieben lassen. Teilweise war das gar nicht einfach bei so vielen Menschen. Von meinem Ausflug nach Düsseldorf muss ich euch aber noch etwas erzählen. Mir ist nämlich bewusst geworden, wie schwer es Menschen, die im Rollstuhl sitzen und wirklich tagtäglich darauf angewiesen sind, eigentlich haben. Darüber hatte ich zuvor nie wirklich nachgedacht. Zuerst wollten wir mit der Bahn bis Düsseldorf fahren. Das lohnt sich am Wochenende immer, da ich Dennis dann auf meinem Ticket mitnehmen kann. Gestaltete sich allerdings als schwierig, da der Bahnhof in Moers nicht barrierefrei ist und keinen Aufzug hat. Naja, dann sind wir mit dem Auto gefahren. Ist vermutlich auch bequemer für mich. Zunächst verlief alles problemlos. Aber in einem größeren Kaufhaus war es doch ganz schön eng für Kunden im Rollstuhl. Teilweise standen die Kleiderständer so eng, dass ich kaum durchrollen konnte ohne die Kleidung von den Stangen zu reißen. In einem Gang habe ich mich sogar festgefahren, haha. Dort stand neben den Kleiderstangen auch noch ein Tisch, wo Mitarbeiter die Ware wieder neu falten. Zum Glück half mir ein freundlicher Mann aus meiner sehr misslichen Lage. In einem anderen Geschäft tummelten sich die Kunden. Eine Mutter sagte zu ihrem Sohn etwas á la "Pass auf. Mach doch mal Platz, damit das Mädchen durchkommt." Worauf der Junge nur antwortete "Boah ja, Mama. Ich habe die Behinderte schon gesehen." Im ersten Moment war ich so schockiert, dass ich keinen Ton mehr herausbekommen habe. Solche Worte sind wirklich verletzend. Ich bin natürlich nur temporär bei lalängeren Strecken auf den Rollstuhl angewiesen, aber andere Menschen müssen das täglich mitmachen und sich solche Kommentare anhören. Viele Menschen habe mich auch angestarrt und in den meisten Blicken konnte ich Mitleid erkennen. "Die Arme. Noch so jung und schon im Rollstuhl." Am Ende war ich froh, dass mir Dennis nicht von der Seite wich und mich fast die komplette Zeit über geschoben hatte. Alleine verlasse ich das Haus im Rollstuhl denke ich nicht. Einige Menschen sind mir auch förmlich vor den Rollstuhl gesprungen um noch schnell vorbeizukommen oder haben sich so dämlich in den Weg gestellt, dass wir kaum durchkamen. Traurig, dass so viele Menschen abgeneigt sind vor Menschen mit Behinderung. Wo leben wir denn, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen können? Gott, bitte lass Hirn regnen..

Mittlerweile ist mein Leben um einiges "normaler" geworden. Ich schlafe seit ein paar Wochen wieder in meinem eigenen Bett und schlafe dadurch nachts viel besser, bin morgens erholter und somit zufriedener. Seit der Operation habe ich allerdings noch keine Nacht komplett durch geschlafen. Auch benutze ich im Badezimmer im Obergeschoss wieder die normale Toilette. Die ist hier ein bisschen höher und ich habe keinerlei Probleme beim Herabsetzen und wieder Aufstehen. Beim Sitzen benötige ich auch keinerlei Kissen mehr unter meinem Hintern. Weder auf der Couch, noch beim Sitzen auf einem Stuhl oder im Auto. Allgemein sitze ich schon super lang ohne Beschwerden. Ich will nicht lügen, aber hochgerechnet sitze ich täglich bestimmt acht Stunden oder sogar mehr. Sobald es aber beginnt zu brennen oder zwicken, lege ich mich sofort hin. In den letzten Wochen habe ich viel gebacken und gekocht. Das funktioniert super. Dabei sitze ich fast die komplette Zeit schön entspannt vor unserem Herd und zaubere Abendessen für die Familie. Einige Abende habe ich im Liegestuhl im Garten vor dem Kamin verbracht.

Übrigens wollte ich mal ein "Danke" aussprechen an meine Familie, meinen Freund und all die lieben Freunde und Bekannten, die sich in den letzten Wochen so lieb um mich gekümmert und mich nicht im Stich gelassen haben. Ich habe viel Besuch bekommen, Anrufe, Karten und Nachrichten auf vielen verschiedenen Wegen. Blumen, viel Schokolade und andere Leckereien, die mir Trost gespendet haben. Danke, dass es euch gibt! Doch leider habe ich auch das Gegenteil erfahren müssen. Einige "Freunde" haben sich so gut wie gar nicht gemeldet. Teilweise habe ich eine einzige Nachricht via Whatsapp bekommen und obwohl ich darauf geantwortet habe, kam bis heute keinerlei Reaktion mehr. Menschen, von denen ich erwartet hätte, dass sie vielleicht mal vorbeikommen oder irgendwas von sich hören lassen, haben sich auch nach fast 12 Wochen nicht bei mir gemeldet, dabei sitzen wir seit Jahren fast täglich zusammen in den Vorlesungen, verbringen unsere Freistunden zusammen und hatten auch abseits der Uni immer viel Kontakt. Die Betonung liegt auf "hatten". In Zukunft nämlich garantiert nicht mehr. Naja, der Ausdruck "gute Freunde" verdeutlicht ja, dass es auch schlechte Freunde gibt, aber das muss ich vermutlich niemandem erzählen. Es ist traurig, dass man sich in manchen Menschen so täuschen kann. An dieser Stelle finde ich folgendes Zitat sehr passend:
"Erst in schlechten Zeiten erfährst du, wer deine wahren Freunde sind."
Diesen Donnerstag habe ich übrigens meine 12 Wochenkontrolle. Dafür fahre ich mit meiner Mutter nach Dortmund in die Klinik. Ein bisschen nervös bin ich jetzt schon. Hoffentlich verläuft alles nach Plan und ich kann Donnerstag mit einer Belastung von 10kg beginnen. Das wird bestimmt ein irres Gefühl wieder - wenn auch nur leicht - auftreten zu dürfen.. nach 12 Wochen! Auch, wenn es wohl sehr schmerzvoll wird und auch die nächsten Wochen garantiert nicht einfach, ich freue mich so, wenn ich wieder einen Schritt weiter gekommen bin. Ich bin so gespannt und melde mich nach meiner Kontrolle am Donnerstag wieder!

Liebste Grüße
Tina

1 Kommentar:

  1. Ich hoffe es ist bei dir auch alles gut! Echt bemerkenswert wie gut das mit dem Sitzen bei dir klappt und das du so gut wie keine Probleme damit hast, ich hoffe, dass wird bei mir auch bald so sein... Das mit dem Kurzzeitgedächtnis ist mir bei mir auch aufgefallen, geb mir bitte mal bescheid was die in Dortmund dazu gesagt haben :) ich wünsche dir weiterhin alles Gute! :)

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